Mittwoch, 11. November 2009

Geld regiert die Welt

Seitdem ich hier bin, beschäftige ich mich so viel mit dem Thema Geld wie nie zuvor. Und das liegt nicht in erster Linie daran, dass ich jetzt selber für das Führen einer Haushaltskasse verantwortlich bin und Rechnungen bezahlen muss (aber auch das ist eine kleine Herausforderung!). Mein Umfeld hier muss sich einfach ständig mit "Plata" (umgangssprachlich Geld) beschäftigen, eben, weil es an allen Ecken und Enden fehlt.
Seit ein paar Wochen ist die Situation im Projekt allerdings so ernst wie nie. Die Provincia Buenos Aires gibt trotz Vertrag kein Geld mehr und das hat ganz direkte, gravierende Auswirkungen: Es gibt bald kein Abendessen mehr und die Mitarbeiter werden entweder gar nicht oder nur zur Hälfte bezahlt. Und müssen trotzdem ihre Familie versorgen. Seit Tagen reden wir im Projekt jetzt darüber, was wir tun können. Geplant sind schon einige Reuniónes mit anderen Centren, denn von dieser Geldsperre sind Projekte in der ganzen Provinz betroffen, außerdem Marchas (Demonstrationen), um auf die Situation in den barrios aufmerksam zu machen. Eine meiner Mitarbeiterinnen sagte mir, es gehe hier um politische Machtausübung. Die Provinz gibt erst gar kein Geld, dann weniger als versprochen, und hofft darauf, dass die Menschen sich dann damit zufrieden geben, weil sie froh sind, überhaupt etwas zu bekommen. Also betreiben wir jetzt Lobbyarbeit. Versuchen, die Öffentlichkeit zu erreichen, damit so Druck auf die Politiker ausgeübt wird. Diese scheinen sich nicht wirklich um die ärmsten Teile der Bevölkerung zu kümmern. In einem Gespräch mit einer Tallerista gestern, sprachen wir darüber, dass das Land die Sozialzentren nicht brauchen würde, wenn es z.B. mehr Arbeitsplätze, ein besseres Schulsytsem, generell eine stabilere Wirtschaft gäbe. Da dies aber nicht der Fall ist, werden solche centros comunitarios gebraucht. Meine Kinder im Projekt kriegen zu Hause keine warme Mahlzeit, für sie ist das Abendessen im centro eine feste Instanz, genau wie die Merienda nachmittags. Mir tut das so leid, mitanzusehen, wie sie ohne Essen gehen müssen, weil ich eben weiß, dass sie zu Hause nicht einfach wie ich den Kühlschrank aufmachen können, um sich was zu Essen zu machen. Das ist schon schwer zu verstehen für mich. Armut ist hier für mich so greifbar geworden. Aber auch Hilfe aus Europa. Heute haben wir z.B. einen neuen Schrank von der Caritas bekommen. Das ist schön, live mitzuerleben, wie solche Hilfe tatsächlich vor Ort ankommt. Andererseits ist es tragisch-komisch, dass wir z.B. letzte Woche unsere Küche im Projekt renoviert haben, neue Küchengeräte und eine Gefriertruhe, sowie diesen Schrank bekommen haben, andererseits aber bald kein Geld mehr für Essen haben. Das sind eben andere Geldquellen. Irgendwie verrückt. Es ist eben traurig aber wahr: Geld regiert die Welt.
Denn wenn ich mal kurz eine Gedankenkette anschließen darf: Arbeitslosigkeit (und ich will gar nicht sagen, dass daran nicht oft auch die Männer selbst schuld sind) führt zu Frustration, Frustration häufig zu Gewalt, Gewalt zu Angst und Abstumpfung, Abstumpfung zu neuer Gewalt - der Teufelskreis ist perfekt. Und ich spreche hier nicht von abstrakten Vorstellungen, sondern ich werde hier mit Gewalt konfrontiert. Sie betrifft zwar nicht mich persönlich, aber mein direktes Umfeld. Meine Arbeitskollegin (18), die mit mir in der Küche arbeitet, hat die ganze letzte Woche gefehlt, weil ihr Freund, mit dem sie ein Kind hat, sie mit seinem Krückstock (er hat nur ein Bein, weil er vom Zug überrollt wurde) so sehr auf die Hand geschlagen hatte, dass sie ihre Finger eine Woche lang nicht gebrauchen konnte. So etwas macht mich jedes Mal ganz schön ungläubig, besonders weil ich diesen Mann kenne und er mir immer so sympathisch vorkam. Hier kann ich mich nicht auf meine Menschenkenntnis verlassen.
Ich halte euch auf dem Laufenden, was unsere Finanzierungskrise betrifft!

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