Sonntag, 27. September 2009

Hochs und Tiefs - der 2. Monat


Gestern waren es zwei Monate, die ich nun schon hier in Argentinien verbracht habe.
Sie waren von vielen Hochs und ein paar Tiefs geprägt, sowohl was das Wetter betrifft, als auch meine persönliche Stimmung.
In meinem Projekt fühle ich mich mittlerweile immer wohler und merke, wie ich meinen Mitarbeitern Stück für Stück näher komme und als Teil des Teams akzeptiert werde. Auch die Beziehung zu den Jugendlichen wird enger, ich merke, sie vertrauen mir.
Es ist aber viel schwieriger, sich selbst wirklich einzubringen. Man könnte es so ausdrücken, dass ich in der ersten Zeit viel gesehen und gestaunt habe, fast unfähig mich zu bewegen. Natürlich nicht wirklich, aber im übertragenen und überspitzten Sinne schon. Es kostet Zeit, Sprache, viele Ideen und Selbstbewusstsein, sich mit eigenen Aktionen ins Porjekt einzubringen. Ich habe mir vorgenommen, in nächsten Monat spielerisch mit Englisch zu beginnen. Zur Zeit mache ich mit der Psychologin, die mittwochs mit den Jugendlichen arbeitet, ein Theaterprojekt, das die Themen Drogen, Gewalt, Sexualität und sexuellen Missbrauch verarbeiten soll. Diese Themen haben die Jugendlichen alle selber vorgeschlagen und zeugen von ihrer persönlichen Erfahrung.

Teilweise fühle ich mich hier rundum wohl und bin sehr zufrieden, an anderen Tagen geht es mir nicht so gut, ich habe Heimweh und vermisse meine Familie und meine Freunde. Manchmal gibt es Tage, an denen ich mir deplatziert und überflüssig vorkomme. An denen ich einfach müde und ausgelaugt bin und gerne mal zu Hause wäre.
Aber es gibt diese Momente. Momente, in denen die Köchin mich in den Arm nimmt, ich mit den Jugendlichen zur Radiomusik abgedreht tanze, mich ein schüchternes Kind anlächelt, ich mich beim Aerobic auspowere, ich staunend durch Palermo laufe, mich treiben lasse im Großstadttrubel - und mich völlig richtig hier fühle.
Es ist schwerer als gedacht, aber ich will trotzdem eigentlich nirgendwo anders sein und nehme die Herausforderung gerne an.
Das ist mein Fazit der ersten beiden Monate.

San Cayetano

Donnerstagmorgens arbeite ich zusätzlich zu meinem Projekt in Bosques im Barrio San Cayetano im centro comunatrio, um dort Apoyo Escolar (Nachhilfe) zu geben.
Die ersten beiden Wochen wurde ich von meiner Wohnung aus ins Barrio begleitet, ab dieser Woche werde ich alleine fahren. Von 9 bis 11 Uhr können die Kinder des Barrios dort mit den Mitarbeitern zusammen ihre Hausaufgaben machen. Ich habe bisher jedes Mal mit einem 7-jährigen Mädchen gearbeitet, die gerade lesen und schreiben lernt. Wir machen zusammen ihre Hausaufgaben für Spanisch/Castellano, was für mich und für sie jede Woche eine Herausforderung darstellt. Mich kostet es jedes Mal eine Unmenge an Geduld, da sie gar keine Buchstaben lesen kann, sich schlecht konzentriert, sich ablenken lässt und auch nicht so schnell im Denken ist. Sie kostet es auch sichtlich Mühe, sich länger am Stück zu konzentrieren, ruhig zu sitzen und Buchstaben im Alphabet zu suchen.
Dass ich als Ausländerin, die nicht perfekt spanisch spricht, ihr eben dies beibringen soll, ist eigentlich paradox. Ich versuche, ihr die Grundlagen zum Lesen und Schreiben beizubringen, was in der Schule anscheinend versäumt wird. Sie soll die Namen von Gegenständen neben die Bilder dieser schreiben, kann aber gar keine Buchstaben lesen, schafft es noch nicht, vom Hören auf Buchstaben zu schließen, geschweige denn, sie dementsprechend in die richtige Reihenfolge aufschreiben. Ich schreibe ihr dann zum Beispiel das Wort ganz groß und deutlich auf und lasse sie jeden Buchstaben in ihrem Alphabet suchen. Das Alphabet verbindet die Buchstaben mit Gegenstände, Tieren etc. Ich versuche zu erreichen, dass sie zu jedem Buchstaben die Verknüpfung zum Gegenstand im Kopf hat, um so Schritt für Schritt zu lernen, wie sich der Buchstabe im Wort anhört. Es ist wirklich nicht leicht und ich bin jedes Mal froh, wenn die zwei Stunden vorbei sind und ich wieder nach Hause fahren kann. Trotzdem ist die Arbeit irgendwie erfüllend, weil ich merke, dass ich dort echt gebraucht werde, weil nur in der ganz engen Betreuung der Kinder eine Chance zur Verbesserung liegt. Außerdem freue ich mich über jeden noch so kleinen Fortschritt, den Belen macht. Ich habe den Ehrgeiz entwickelt, ihr in diesem Jahr jetzt wirklich Lesen und Schreiben beizubringen, dafür müsste ich wahrscheinlich aber öfter als einmal die Woche Zeit mit ihr verbringen.
Das Barrio San Cayetano ist noch eine Spur ärmer als Bosques, wo ich nachmittags arbeite. Der Fluss, der hindurch fließt, ist von Müll zugeschüttet. Du siehst den Kindern die Armut an. Sie tragen zerrissene Kleidung, haben Karies, riechen schlecht und sind generell eher ungepflegt. Wenn mein Nachhilfemädchen lacht, und das tut sie oft, versetzt mir der Anblick ihrer schwarzumrandeten Milchzähne, jedes Mal einen Stich.
Manchmal weiß ich gar nicht, wo man mit der Hilfe ansetzen soll - es sind so viele Dinge, die verbessert werden müssten. Hygiene, medizinische Versorgung, Ernährung, die Wohnsituation, Bildung. Bildung - an welcher Stelle steht sie hinsichtlich dieser Verhältnisse? Ist sie, wie die westliche Welt wohl sagen würde, der Schlüssel zum Ausstieg aus dem Elend; oder ist sie neben den elementaren Dingen, die Menschenwürde gewährleisten sollen, nur zweitrangig?
Wie macht man den Kindern und Jugendlichen klar, dass es wichtig ist, Englisch zu lernen? Dass es wichtig ist, rechnen zu können?

Donnerstag, 24. September 2009

Bilder!!!

Aufgepasst: Ab sofort könnt ihr euch hier meine Fotos angucken. Rechts oben seht ihr einen Link zu meinem Webalbum. Leider ist er nicht besonders auffällig, deswegen mache ich noch mal hier darauf aufmerksam. Viele Bilder sind es bisher nicht, aber ich arbeite daran! Erste Impressionen aus meinem Projekt gibt es aber schon!
Viel Spaß beim Angucken!

Sonntag, 20. September 2009

Wochenende in Capital


Den gestrigen Samstag habe ich in Capital verbracht.
Um 10:30 Uhr war eine Stadtführung mit einem älteren deutschen Herren angesetzt, der für uns Freiwillige solche Angebote macht. Wir trafen uns am riesigen Bahnhof Retiro, der von meiner Wohnung in Varela etwa eine Stunde mit dem Bus entfernt ist.
Von dort aus starteten wir nach einem ersten Kaffee bzw. Orangensaft im Bahnhofscafé unseren Spaziergang. Von der Plaza San Martin ging es über die Shoppingmeile Florida zum Plaza de Mayo und schließlich mit der subte (U-Bahn) nach Congreso. Hier und da bekamen wir etwas erzählt, Historisches, Aktuelles, Tips etc. Mittags aßen wir Pizza und beendeten schließlich die kleine Tour nachmittags in einem schicken Café in der Nähe des Congreso.
Anschließend bin ich mit Merle und Mateo wieder in die Florida zurückgekehrt, wo wir nach Lederjacken gesucht haben. Die Auswahl dort ist riesig und nach etwa einer Stunde habe ich auch tatsächlich meine Traumjacke gefunden :) Ein Geschenk meiner Eltern zu meinem Geburtstag.
Danach stand noch eine spannende Sache an: Ich hatte mich entschlossen, mir einen Ring oben durch's Ohr stechen zu lassen. Ein Piericing, aber ein harmloses. Mateo und Merle haben mich in das Studio begleitet, Händchen gehalten, Fotos gemacht (Eine riesige Nadel durch mein Ohr!!) und mir Mut gemacht. Es tat schon weh, allerdings weniger als gedacht und es war ganz schnell vorbei. Mit dem Ergebnis bin ich sehr zufrieden! Es sieht schon so aus, als hätte ich das immer schon gehabt, tut kaum noch weh, nur noch, wenn ich es drehen muss.
Zum Abschluss des gelungenen Tages haben wir in Merles WG Spaghetti Bolognaise gekocht, zusammen gegessen und sind danach weiter nach Quilmes zur Geburtstagsfeier von Christoph gefahren. Dort war wieder eine kleine Freiwilligenversammlung, wir haben Empanadas und Brownies gegessen und sind später noch in die Boliche gegangen, in den Club 21 in Quilmes.
Die Musik war ganz gut, wir waren eine große Gruppe, haben getanzt, hatten Spaß.
Schließlich haben Laura und ich ein Remis nach Hause genommen und sind direkt eingeschlafen. Es war wirklich ein langer Tag.
Mein Sonntag heute war viel ruhiger: Ausschlafen, etwas essen, mit Merle zur Feria hier in Varela gehen, ein bisschen die Wohnung putzen, Lesen, Blog schreiben...
Gleich werde ich für Laura kochen und später gehen wir vielleicht noch ins Kino, was wir Sonntags oft machen.
Morgen ist eine Fiesta in meinem Projekt, wir feiern den "Dia de la primavera". Also werden die ersten Fotos aus meinem Projekt bald kommen - morgen werde ich die Gelgenheit nutzen!
Gute Nacht nach Deutschland und eine gute neue Woche euch allen!

Mein erstes Asado


Letzten Samstag habe ich meinen Geburtstag mit einem kleinen Asado gefeiert. Sofia, eine weitere Freiwillige, die auch in der Nähe wohnt, hatte einen Tag vor mir Geburtstag und daher haben wir beschlossen, zusammen zu feiern. Da unsere Wohnung für fast 20 Leute doch zu klein ist, haben wir die kleine Feier zu Lisa und Anna nach nebenan verlagert, deren Patio dann zum Grillen diente.
Die Vorbereitung des argentinischen Barbecues gestaltete sich dann doch schwieriger als erwartet: Geschlagene 2 Stunden waren Lisa und ich damit beschäftigt, den 5-Kilo-Fleischberg vom Fett zu befreien und in kleinere Stücke zu schneiden. Das etwas ernüchternde Ergebnis unserer Arbeit war dann, dass am Ende mehr Fett als genießbares Fleisch übrig blieb. Genug war es aber immer noch.
Wie bei "Mädchengeburtstagen" üblich, gab es sehr viel zu essen: Laura und Anna hatten Plätzchen, Empanadas und Tortas Fritag gebacken, außerdem gab es Salate und Kuchen, Brot und natürlich Fleisch. Da wir insgesamt 22 deutsche Freiwillige im Großraum Buenos Aires sind, wurde die Wohnung voll, viel gegessen, getrunken, geredet, gelacht und gegrillt. Dies kommentierte der Hausverwalter am Montag dann mit den Worten: "Mucho ruido el sabado..." Ich jedoch halte die Nachbarn für verantwortlich, die waren viel lauter als wir!
Ich habe eine sehr schöne Palme für mein Zimmer geschenkt bekommen, außerdem noch eine sehr hübsche Pflanze mit pinken Blüten, die nun beide mein und Lauras Zimmer verschönern.
Es war ein schöner Abend, der meine Woche abrundete und viel Spaß gemacht hat. Mein erstes Asado ist also gelungen - wenn auch das Fleisch ein wenig zäh war.

Freitag, 11. September 2009

Mein 19. Geburtstag


Mein 19. Geburtstag vor 2 Tagen war der erste Geburtstag, den ich ohne meine Familie und ohne meine Freunde aus Deutschland verbracht habe.
Dafür war er aber doch ganz schön. Am Abend zuvor habe ich mit Laura, Lisa, Anna und Cris mit viel Torte, Kuchen und Plätzchen gemütlich reingefeiert und um 12 schon den ersten Anruf in Empfang genommen ;)
Am Tag selber musste ich leider schon um 6 Uhr aufstehen, weil wir schon um 7 Uhr zu einer Konferenz nach Capital aufbrechen mussten.
In der Konferenz ging es um die Situation der Centren, um Probleme und Verbesserungsvorschläge. Es gab viel Mate und in der Mittagspause Empanadas, eben typisch argentinisch. Pia hat mir einen kleinen Kuchen und einen Blumenstrauß mitgebracht und in der Pause wurde für mich gesungen.
Abends waren wir wieder in Varela und wieder zu fünft bei Pizza libre, einem Restaurant, in dem man für 15 Pesos (knapp 3 Euro) so viel Pizza essen kann, wie man möchte.
So klang der Tag gemütlich aus.
Es war ein ganz anderer Geburtstag als sonst - aber von Veränderung lebt ja das Leben ;)
Gestern habe ich anlässlich meines Geburtstags dann Haribo mit ins Projekt gebracht, worauf sich die Kinder im wahrsten Sinne des Wortes gestürzt haben!
Über die Briefe, Pakete und Nachrichten habe ich mich sehr gefreut, gerade, weil ich so weit von zu Hause weg bin. Danke!

Von Menschen und Hunden

Ich habe schon länger nicht mehr geschrieben, was davon zeugt, dass ich wenig Zeit bzw. Freizeit habe und diese dann entsprechend vollgepackt ist mit den Dingen, die ich mir vorgenommen hatte zu tun, allen vorweg Sport und Bildung bzw. Weiterbildung in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Geschichte.
Ich bin ganz zufrieden mit mir, denn immerhin gehe ich mindestens zweimal die Woche ins Fitnessstudio am Park von Varela, mache Aerobic oder trainieren an den Geräten und lese fast jeden Tag in meinem schlauen Buch oder im Internet um wenigstens etwas auf dem neusten Stand zu bleiben und zu erfahren, was in der Welt so passiert.
In meiner Welt hier passiert doch so einiges. Aber vor allem merke ich, wie langsam Routine und Alltag in mein Leben zieht, was beruhigend ist, weil einem so alles leichter von der Hand geht und nicht mehr alles ganz so neu erscheint.
Inzwischen habe ich mich gewöhnt an die tägliche Busfahrt ins Projekt, die wie eine Zeitreise erscheint. Der Colectivo 500 (3 Bosques) bringt mich jeden Tag in eine andere Welt. Ich steige ein und alles erscheint "normal", ähnlich wie in Europa: Geteerte Straßen, Autos, normale Häuser, Geschäfte....Ich fahre und nach etwa 15 Minuten verändert sich das Bild allmählich. Der Müll am Straßenrand häuft sich, die Häuser werden kleiner, ihr Material verändert sich, sie sind halb offen, bestehen nur aus ein paar Steinen oder Holzbrettern, am Straßenrand verlaufen Gräben, in denen Abwasser und Müll schwimmt, überall laufen Hunde herum, die erbärmlich aussehen.
Ja, das habe ich alles schon berichtet aber ich kann das nicht oft genug erzählen, denn es begleitet mich jeden Tag. Jeden Tag verbringe ich 7 Stunden in dieser Umgebung und lerne die Menschen kennen, die ihr ganzes Leben dort wohnen. Ohne warmes Wasser. Ohne Klospülung. Ohne Föhn (ja, das erscheint nicht so wichtig aber meine Mädchen im Projekt kommen jeden Tag bei den Temperaturen im Moment mit nassen Haaren!), Ohne Heizung. Ohne Isolierung. (Die beiden Dinge gibt es selbst in unserer Wohnung nicht bzw. kaum). Ohne Privatssphäre.
Ich könnte noch viele Dinge mehr aufzählen, aber ich möchte nicht melodramatisch werden.

Auch in meinem Projekt, das im Vergleich zu anderen noch relativ gut ausgestattet ist, mangelt es an vielem. Auch wir haben kein warmes Wasser, spülen also jeden Tag das ganze Geschirr mit kaltem Wasser, was in Hinblick auf Hygiene nicht gerade beruhigend ist. Für Obst und Gemüse ist kaum Geld da, für die etwa 20-25 Jugendlichen, die jeden Abend dort essen, gibt es immer etwa 2 Möhren, eine Paprika und 8 Zwiebeln. Dafür aber fast immer Fleisch, das ist hier spottbillig.

Ich habe die Kinder und Jugendlichen aus dem Centro, aber auch meine Mitarbeiterinnen, schon sehr ins Herz geschlossen und weiß jetzt schon, dass es schwer wird, sie wieder zu verlassen.

Die Kinder sind alle so süß. Ich merke, wie sie auch mir gegenüber immer offener werden und es freut mich, diese Entwicklung zu verfolgen.
Sie kommen jeden Tag um 5 zur Merienda. Dafür bilden sie vor der Tür eine Schlange, jeweils 3 von ihnen kriegen von Romy, einer Mitarbeiterin in meinem Alter Seife in die Hand und gehen ins Bad, wo sie sich die Hände waschen. Danach bekommen sie von mir das Essen (Kuchen, Brot oder Löffelbiscuit) und einen Becher Tee.
Beim Betreuen des Händewaschens fällt mir oft auf, wie vernarbt die Händer der Kinder teilweise sind, von verdreckt mal ganz abgesehen. Die meisten von ihnen haben keine Mutter, die ihnen regelmäßig die Nägel schneidet, also sammelt sich dort munter der Dreck von Wochen...
Viele Kinder haben auch Krätze, Läuse etc. Wenn man sich die Verhältnisse im Barrio anguckt, ist das kein Wunder.
Trotz alledem ist die Mehrheit der Kinder sehr fröhlich. Beim täglichen Basteln wird viel gelacht, es kommt oft zu Situationen, in denen einer oder mehrere der Kinder singen oder tanzen und die anderen in einem Kreis drumherumstehen und mitklatschen. Das sind jedes Mal kleine Highlights meiner Arbeit.
Mit einem Mädchen, das mich bisher immer nur etwas verstörend angegrinst hat, habe ich mich gestern das erste Mal unterhalten, was für mich ein kleiner persönlicher Erfolg war. Langsam verstehe ich die Kinder immer besser und kann mich auch besser mit ihnen unterhalten. Alles fügt sich zusammen und entwickelt sich.
Zu den Jugendlichen habe ich auch schon ein richtig freundschaftliches Verhältnis entwickelt und ich versuche im Moment herauszufinden, was ihnen gefällt und Spaß macht und welches Angebot ich am besten anbieten werde. Die Theatergruppe mit kombiniertem Englischkurs wäre auf jeden Fall ein ehrgeiziges Projekt, sehr schwer zu verwirklichen, weil die Jugendlichen trotz Englischunterricht in der Schule oft kein einziges Wort sprechen und sich auch nicht sonderlich dafür interessieren. Außerdem haben sie Hemmungen, was für das Theater hinderlich ist. Trotzdem gebe ich nicht so schnell auf und werde es wenigstens versuchen, spielerisch und mit kleinen Schritten.
Gestern und heute haben mich Mädchen (17 und 13) gefragt, ob es in Deutschland auch so viele arme Leute wie hier gibt. Ich habe jedes Mal verneint und erklärt, dass in Deutschland das System der Sozialhilfe greift, so dass auch Arbeitslose etc. vom Geld vom Staat leben können.
Die beiden konnten sich kaum vorstellen, dass es in Deutschland keine Gegenden gibt, in denen vergleichbare Verhältnisse wie in den armen Barrios herrschen, keine "Villas" etc. Die ältere von beiden hatte im Fernsehen schon Bilder von Deutschland gesehen und mir gesagt, wie schön und reich alles ausgesehen hat. Sie hat mich außerdem gefragt, ob es in Deutschland auch viele Alkoholiker gebe, woraufhin ich antwortete, dass das sein könne, ich aber niemanden kenne. Daraufhin erwiderte sie, dass es dann wenige sein müssten, denn sie kenne sehr viele.
Was wieder daraufhinweisen würde, dass die Lebensumstände die Menschen bestimmen. Da muss ich Marx doch Recht geben muss: Das Sein bestimmt das Bewusstsein.
Oft frage ich mich, wie ich denken und handeln würde, wäre ich dort geboren. Wären meine Ziele die gleichen wie jetzt? Wäre meine Einstellung die gleiche? Und wenn ja, hätte ich die gleichen Chancen, die ich jetzt habe? Die letzte Frage war rhetorisch. Das ist bitter. Ich habe es vor allem meiner Herkunft zu verdanken, dass ich zur Schule gehen konnte, so lange ich wollte, jetzt hier bin und danach studieren kann um eines Tages das zu arbeiten, was mir gefällt.
Wie würde mein Leben aussehen, wäre ich eines der Kinder aus dem Barrio gewesen?
Höchstwahrscheinlich hätte ich schon Kinder oder wäre zumindest schon schwanger. Von meinen 3 jungen Kolleginen, die in meinem Alter sind, hat eine schon 2 Kinder und die beiden anderen jeweils eins. Die Psychologin, die zweimal die Woche im Centro arbeitet, hat mir gesagt, dass viele Mädchen so ihre Freunde an sich binden, aus Angst, sonst verlassen zu werden.
Außerdem bedeutet ein Kind eine Aufgabe, einen Lebensinhalt, der vielen sonst fehlt. Ein Kind gibt deinem Leben eine Bedeutung, eine Wichtigkeit.

Die Prioritäten der Menschen im Barrio unterscheiden sich von meinen. Obwohl sie kaum genug Geld für Essen und Kleidung haben, geben sie ihr Geld z.B. für Handys aus, von denen sie total begeistert sind. Alle meiner Mitarbeiterinnen haben Fotohandys, mit denen sie mir Bilder ihrer Familie und von Jesus (!) zeigen. Eine von ihnen hat sich vor ein paar Tagen ein neues Sony Ericsson Walkman Handy für 1400 Pesos (fast 300 Euro!) gekauft. Sie bezahlt in 6 Monatsraten. Sie trägt fast immer die gleiche Kleidung und klagt oft darüber, dass ihr das Geld für dieses oder jenes fehlt. Das kann ich wirklich nicht verstehen. Aber sie ist sehr glücklich über dieses Handy, gibt überall damit an (sie ist schon mindestens 40!), wir hören damit Musik bei unserer Materunde und sie ist ständig am Telefonieren oder simsen.

Auch gehen die Menschen hier sehr verschwenderisch mit Wasser um, der Wasserhahn läuft fast ständig, was ich gar nicht ertragen kann und ihn deshalb regelmäßig abdrehe. Das Wasser ist kontaminiert und kann wirklich üble Bauchschmerzen verursachen.

Komme ich nun von den Menschen zu den Hunden. Es ist grauenhaft, besonders für mich als Nicht-Hundefreund. im Centro laufen immer mindestens 7 Hunde rum (ich habe gezählt ;)), die ständig ins Haus laufen, sich die ganze Zeit kratzen, um Essen betteln, miteinander kämpfen etc.
Die Leute sind an sie gewöhnt, für mich ist das seltsam. Teilweise gehen die Jugendlichen echt schlimm mit ihnen um. Der Sohn meiner Chefin hat letztens mit einem Besen ausgeholt und mit voller Wucht auf einen Hund geschlagen, was mir sehr leid tat, obwohl ich an sich von den Hunden nicht angetan bin. Andererseits bekommen die Hunde die Essensreste und werden akzeptiert. Es herrscht ein stilles Einvernehmen zwischen Menschen und Hunden.

Abschließen möchte ich heute mit etwas, was ich vor kurzem auf Zeit. de gelesen habe.
Es ging um Kulturrelativismus und die Autorin kritisierte extreme Kulturrelativisten, die das Missachten von Menschenrechten auf eben diesen Kulturrelativismus zurückführen.
Dies sei unmenschlich, sagte sie und ich muss ihr da zustimmen. Menschenrechte sind keine Erfindung des Westens, meiner Meinung nach sind sie universell. Die Menschen hier haben die gleichen Empfindungen wie wir, sie haben Hunger und wollen essen, sie frieren und wollen gewärmt werden, sie wollen würdig leben, sie leiden unter Gewalt. Die Menschenrechte werden hier verletzt und der Westen, wir, können das nicht einfach als Kulturrelativismus abtun, denn das hat nichts mit der argentinischen Kultur zu tun. Ich weiß bisher noch zu wenig über die Ursachen dieser Armut, um sagen zu können, woher sie kommt und vor allem, wie sie bekämpft werden kann. Die Militärdiktatur z.B. hat die Wirtschaft geschwächt. Die Globalisierung tut ihr übriges.
Das Land befindet sich, besonders nach der Krise 2001, in einer schwierigen Phase der Konsolidierung. Dazu bald mehr.